Musterfeststellungsklage im Diesel-Abgas-Skandal

Das Bundeskabinett hat am Mittwoch, den 9. Mai 2018, ein Gesetz zur Einführung einer Musterfest­stellungsklage für Verbraucher auf den Weg gebracht. Verbraucherverbände sollen berechtigt sein, für eine Vielzahl von Verbrauchern Schadenersatzansprüche feststellen zu lassen. In erster Linie ist dieses Gesetz für die Geschädigten des Diesel-Abgas-Skandals gedacht.

 

Das Verfahren ist so ausgestattet, dass zunächst ein Verbraucherverein im Rahmen einer Feststel­lungsklage vor Gericht Schadenersatzansprüche und ihre Grundlagen hierzu feststellen lassen soll. Wenn dann dieses Urteil ergangen ist, sollen die einzelnen Geschädigten in einem zweiten Schritt auf eigene Rechnung den individualisierten Schadenersatzanspruch gerichtlich geltend machen. Der Verbraucherverein sucht sich sodann einen Rechtsanwalt, der für alle Geschädigten gemäß Klageliste die Schadenersatzansprüche geltend machen soll. Macht dieser Anwalt seine Sache nicht gut, so verlieren alle Geschädigten den Prozess. Dann bedeutet ein negatives Feststellungsurteil für alle, dass sie restlos ihre Schadenersatzansprüche verloren haben. Sie können dann auch nicht mehr als Einzel­kläger diese Schadenersatzansprüche geltend machen. Insofern sind sie an den negativen Ausgang des Prozesses vollständig gebunden.

 

Die Rechtsprechung im Bereich Diesel-Abgas-Skandal ist als durchaus unterschiedlich zu bezeichnen. Kommt der Verbraucherverband mit seiner Klage zu Richtern, die eher verbraucherfeindlich eingestellt sind, geht der Prozess für alle verloren. Bei einer Musterfeststellung muss man sich für ein Gericht entscheiden.

 

Bleibt man außerhalb einer Musterfeststellungsklage, kann man das Klagerisiko bundesweit verteilen. Geklagt wird immer an dem sogenannten Verbraucherstandort, das heißt bei dem Gericht, bei dem der Verbraucher seinen Wohnsitz hat. Durch diese breite Streuung in der Gerichtsbarkeit kommt man am Ende zu besseren Ergebnissen und kann gegebenenfalls einzelne, verbraucherfeindliche Gerichte meiden, wie z. B. das Landgericht Braunschweig.

Es ist auch festzustellen, dass ein solches zweistufiges Verfahren enorme Zeit in Anspruch nehmen wird. Alleine die Musterfeststellungsklage eines Verbrauchervereins könnte über drei Instanzen gehen, was leicht fünf bis sieben Jahre dauern könnte. Danach sollen die Verbraucher eigene Schadenersatz­klagen auf eigene Kosten und Rechnung durchführen, gegebenenfalls wieder über drei Instanzen, was weitere fünf bis sieben Jahre dauern könnte. Rechnet man günstig, so würde bei zweimal drei Instanzen das Ganze mindestens zehn Jahre dauern. Eine solche Verfahrenslaufzeit ist für die Geschädigten des Diesel-Abgas-Skandals völlig inakzeptabel.

 

Beim großen Schadenersatz gegen die Autohersteller geht es darum, das betroffene Fahrzeug auszu­tauschen gegen Schadenersatz, wobei sich jeder Autobesitzer die gefahrenen Kilometer als sogenannte Nutzungsentschädigung anrechnen lassen muss. Zunächst wird der Kaufpreis als Schadenersatz ange­nommen minus der Nutzungsentschädigung für die gefahrenen Kilometer. Wenn man sich jetzt vorstellt, dass ein solches zweistufiges Verfahren mindestens zehn Jahre dauert, entstehen so hohe Kilometerstände bei den betroffenen Fahrzeugen, dass sich am Ende ein Schadenersatzanspruch überhaupt nicht mehr rechnen würde. Die gefahrene Kilometerzahl wäre so hoch, dass gegebenenfalls nicht nur das Auto an den Hersteller zurückgegeben werden müsste, sondern darüber hinaus auch noch einen Ausgleichszahlung erfolgen müsste vom Verbraucher an den Automobilhersteller. Das ist wirtschaftlicher Unsinn.

 

Für vom Diesel-Abgas-Skandal geschädigte Autobesitzer kann es nur richtig sein, so schnell wie möglich seine Rechte individuell geltend zu machen. Wenn der Automobilkonzern in einer kurzen außergerichtlichen Phase zu einer Einigung nicht bereit ist, müsste zügig eine Schadenersatzklage ein­gereicht werden, um so schnell wie möglich zu einem rechtskräftigen Urteil zu kommen. Das bedeutet, dass für geschädigte Autobesitzer die Frage des Schadenersatzes immer auch eine Frage der Zeit ist.

Wie lange dauert es, um ein rechtskräftiges Urteil zu bekommen?

 

Ein Großteil der geschädigten Autobesitzer verfügt über eine Rechtsschutzversicherung, was bedeutet, dass mit Ausnahme einer kleinen Selbstbeteiligung von in der Regel um die 100 Euro der Betroffene kein Kostenrisiko trägt. Die Rechtsschutzversicherung bezahlt nicht nur den eigenen Anwalt, sondern im Klageverfahren auch die Gerichtskosten und im Falle des Unterliegens auch die Kosten des Gegen­anwalts. Betroffene Geschädigte, die über eine Rechtsschutzversicherung verfügen, brauchen deshalb auf auf­wendige Verfahren von Verbraucherschutzverbänden mit anschließenden Einzelklagen nicht zu warten. Sie verlieren nur Zeit und im Ergebnis Geld.

 

Für all diejenigen, die über keine Rechtsschutzversicherung verfügen, gibt es Prozessfinanzierer, die gegen Erfolgsbeteiligung einen solchen Prozess kostenmäßig vollständig übernehmen. Bei dieser Konstruktion trägt der Geschädigte ebenfalls kein Kostenrisiko. Sollte der Prozess verloren gehen, gibt es keine Eigenbeteiligung an den Kosten. Insofern brauchen auch Geschädigte ohne Rechtsschutzver­sicherung nicht auf eine Musterfeststellungsklage zu warten. Sie können schon jetzt beginnen, ihre Schadenersatzansprüche individuell anzumelden und durchzusetzen.

 

Wir erachten den Gesetzentwurf der Bundesregierung als völligen Fehlgriff. Die berechtigten Schaden­ersatzansprüche der vom Diesel-Abgas-Skandal Betroffenen werden so lediglich auf die lange Bank geschoben, und die Schadenersatzansprüche lösen sich über die vielen Jahre in Luft auf.

 

Wir raten deshalb dringend dazu, sich an qualifizierte Rechtsanwälte zu wenden, die entweder mit Unterstützung einer Rechtsschutzversicherung oder eines Prozessfinanzierers die individuellen Schaden­ersatzansprüche rechtzeitig und zeitnah durchsetzen. Anwälte sind die besten Interessenver­treter der Verbraucher. Sie verfügen über die entsprechende Ausbildung und haben die erforderliche Berufserfahrung, um Schadenersatzansprüche auch gegen große Unternehmen durchzusetzen. Es ist völlig unverständlich, warum der Gesetzgeber auf diese Ressourcen verzichten will. Ein solches Misstrauen gegenüber der Anwaltschaft als Organ der Rechtspflege ist völlig unangebracht. Außerdem bleibt man bei dieser Vor­gehens­weise jederzeit Herr des Verfahrens und wird nicht zum Spielball irgendwelcher Verbraucher­verbände bzw. deren ihnen unbekannter Anwälten.

 

Insgesamt erscheint die Musterfeststellungsklage, zumindest für den Bereich des Diesel-Abgas-Skandals, völlig unbrauchbar. Geschädigte sollten sich durch fachkundige Rechtsanwälte beraten lassen.

 

 

Rechtsanwalt Joachim Cäsar-Preller

Fachanwalt für Bank- und Kapitalmarktrecht

Fachanwalt für Bau- und Architektenrecht

und Spezialist für Verbraucherschutz und Anlegerschutz